Moon Kyungwon & JEON Joonho
EL FIN DEL MUNDO – ein Film aus dem Projekt NEWS FROM NOWHERE (2012)
Zwei Stellwände mit zwei unterschiedlichen Filmprojektionen zeigen bei MOON Kyungwon & JEON Joonho im Keller der documenta-Halle eine „Retrospektive aus der Zukunft“. Auf der rechten Filmleinwand ist eine Frau in einer Science-Fiction-Szenerie zu sehen. Links ein Mann in einem fensterlosen Raum mit einem Hund.

Die asiatische Frau scheint durch ihre besondere Umgebung zu einer speziellen Spezies von Menschen zu gehören. Die Welt in der sie lebt heißt TEMPUS – ein Ort, an dem Daten über die Menschheit gespeichert sind. Das daraus resultierende Wissen über die Menschen schreibt der „neuen“ Welt Regelungen vor, die die Frau einzuhalten hat. Der Betrachter erfährt durch englische und deutsche Untertitel, die aus der japanischen Gedankensprache der Frau übersetzt sind, dass sie den Platz, der wie das Innere eines Raumschiffs wirkt, nicht ohne ihren Schutzanzug zu verlassen hat. Weiterhin solle sie möglichst wenig Energie aufwenden, um überleben zu können. Eine Pille mit den nötigen Nährstoffen und ein Schutzcollier gewähren ihre sichere Existenz. Den Anweisungen folgend, geht sie unterschiedlichen Tätigkeiten nach. Sie verlässt ihren geschützten Raum und betritt ein Zimmer, das zuvor von Menschen aus der heutigen Zeit genutzt wurde. Sie scheint sehr erstaunt darüber zu sein und gleichzeitig vorsichtig.

In der nächsten Szene untersucht sie bereits ausgetrocknete Pflanzen, bis ihr eine Lichterkette, die für einen Weihnachtsbaum bestimmt ist, auffällt. Schockiert und völlig unwissend über ihre Funktion, setzt sie sich diese auf ihr Haupt und fixiert den Betrachter.
Obwohl beide Filme verschiedene Situationen aufweisen und auf den ersten Blick keine visuelle Verbindung haben, kommunizieren sie miteinander. Während die Frau das Nutzen einer Lichterkette erforscht, integriert sie der Mann auf der linken Seite in ein Bauprojekt aus unterschiedlichen Materalien, zum Beispiel einer Perücke. Er bewegt sich in einem dunklen Raum, beleuchtet durch ein flackerndes Kaminfeuer. Die Wände sind mit Bildern und Zeitungsartikeln tapeziert. Er hat Bücher zur Verfügung, doch sein Gemüt verrät, dass ihm langweilig ist. Er beschäftigt sich mit Basteln. Die melancholische Atmosphäre wird durch ein lautstarkes Aufrütteln gestört, mit einem Erdbeben vergleichbar.
In beiden Filmen hörbar, symbolisiert die Erschütterung das Ende der Welt. Die zwei Protagonisten leben also in einer postapokalyptischen Zeit: Der Mann, der anscheinend zu den letzten Überlebenden zählt, vegetiert in einem Zimmer, zusammen mit seinem treuen Hund, in einer Welt, in der alles zerstört ist.Die Frau hingegen existiert in gesonderten Raumverhältnissen, die in der Zukunft liegen, und betreibt wissenschaftliche Forschung zur Erklärung der Menschheit, die vor ihrem Handlungszeitpunkt liegt.
Das japanische Künstlerduo beabsichtigt laut documenta-Begleitbuch weder das Ausmalen einer zukünftigen Gesellschaft, noch die Darstellung einer utopischen oder dystopischen Gesellschaftsvision. Ziel sei es, die Wirklichkeiten und Werte unseres heutigen Lebens zu rezipieren.
Dabei stellt sich für uns als Betrachter die Frage: Was ist die Apokalypse für uns? Oder noch präziser: Welche Werte und Errungenschaften sind uns so wichtig, dass der Mensch daran zerbricht, wenn sie nicht mehr existieren? Und: Wie kommt das Ende der Welt zustande?
Auch wenn die Filme keine illusionistischen Vorgaben beabsichtigen, zeigen sie trotzdem durch die Handlungen der Frau und des Mannes zwei verschiedene Umgangsarten mit der Thematik. Die Frau nutzt ihre technologischen Möglichkeiten zur Erforschung und Erklärung der Vergangenheit, um das Wissen durch Rationalität effizient in ihrer „neuen“ Welt umsetzen zu können. Ihre rationale Denkweise hängt mit der Bedingung ihrer Existenz zusammen, nämlich keine unnötige Energie zu verschwenden, und zwar auch insofern, dass sie keine Emotionen zulassen darf, denn Tränen kosten emotionale Energie. Ganz im Gegenteil zum Mann: Er besitzt einen Hund, für den er gefühlvolle Fürsorge aufbringen muss. Er hat im Gegensatz zu ihr keine Möglichkeit nach draußen zu gehen und sich weiterzuentwickeln. Alles was ihm bleibt, ist der Bestand an Wissen durch seine Bücher. Er kann die Vergangenheit dadurch erlernen, aber irgendwann kommt er an einen Punkt, an dem er ausgelernt hat.
Da dieser Zustand der Endgültigkeit in der Welt und im menschlichen Denken keinen Platz findet, müssen herrschende Theorien in der Forschung immer wieder aufs Neue kritisiert und untersucht werden, um intelligente und effiziente Lösungen für Probleme zu finden (beispielsweise in der Umwelt).
Ist die Apokalypse für uns also eine neue Denkweise, die uns aus unseren Ideologien entreißt und uns dazu zwingt, eine neue und bewusste Lebensweise zu erschaffen? Ist unsere bisherige Lebensart falsch und muss sie von Grund auf in ihren Werten noch einmal überdacht werden? Um diesen Gedanken aufzunehmen, müssen wir uns auch fragen, was wir als „normal“ wahrnehmen. Dabei geraten autodestruktive Aktionen von Menschen in den Blickpunkt, beispielsweise der Bau von Atombomben. Was auf der einen Seite gut für die nationale Macht ist, ist auf der anderen Seite eine erschreckende Vernichtung seiner selbst. Dieser Stichpunkt ist nicht weit hergeholt, wenn man bedenkt, dass die Projektkünstler aus Japan stammen und einen eigenen Realitätsbezug dazu aufbringen.
Schließlich verlässt der Betrachter das filmische Kunstwerk mit einem Unbewusstsein: Die fiktive Geschichte lässt ihn über seine Taten von heute nachdenken unter Belichtung der Folgen derer von Morgen. Der Mensch weiß was er tut, aber er weiß nicht, wohin es ihn führt. Er wird sozusagen in ein Trauma geschleust, das in der Zukunft auf ihn wartet. Seine Aufgabe ist es, dieses zu verhindern – mit allen ihm zustehenden Mitteln. Denn er könnte die Möglichkeit haben.
Christina Hooge