Die Zeit wird knapp – Tipps für einen dOCUMENTA (13)-Besuch für das letzte Wochenende

Nur noch zwei Tage, dann ist die dOCUMENTA (13) leider vorbei. Sie haben noch nicht alle Kunstwerke gesehen oder haben sich erst jetzt spontan entschieden, die größte Kunstausstellung der Welt zu besuchen? Bloß keine Hektik! Ich möchte Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung vielleicht den einen oder anderen nützlichen Tipp geben, der Ihnen bei Ihrem Rundgang helfen könnte.

Blick auf das Fridericianum mit den berühmten „Joseph Beuys-Bäumen“ © Livia Blum

1. Früh aufstehen lohnt sich: Um 09.45 Uhr öffnet bereits die Ticket-Kasse zur dOCUMENTA (13). Wer rechtzeitig ansteht, kann sich sein Ticket als einer der Ersten ergattern.

2. Ich muss ganz ehrlich gestehen: Die riesigen Schlangen vor dem Fridericianum und der documenta-Halle haben mich schon abgeschreckt. Deshalb beschloss ich, meinen Rundgang danach auszurichten, wo nicht so viel Andrang herrschte. Mein Tipp: Besuchen Sie vielleicht zuerst das Ottoneum, das Gebrüder Grimm Museum und die Neue Galerie, dort geht es meistens sehr zügig voran und es herrscht nicht so viel Besucheransturm.

3. Wenn Sie am Hauptbahnhof den Massen entgehen wollen, sollten Sie Ihre Besichtigung vielleicht im Südflügel beginnen und danach erst zum Nordflügel gehen. Dort müssen Sie nämlich wahrscheinlich etwas länger anstehen.

4. Ich habe gemerkt, dass an den Orten abseits der Hauptschauplätze meistens keine Warteschlangen entstehen: Das Grand City Hotel Hessenland, das Kaskade Kino, die Spohrstraße 7 oder die Handwerkskammer etc. sind meistens sehr schnell zugänglich.

5. Suchen Sie die Standorte, bei denen der Zugang auf eine bestimmte Besucheranzahl beschränkt ist, am besten erst gegen Abend auf. Gegen 18.30 Uhr herrschte vor der documenta-Halle und dem Friedericianum wenig Andrang und ich hatte kaum Wartezeit.

6. Wer dem finalen Trubel jedoch völlig entgehen möchte, dem würde ich raten, sich einen schönen Tag in der Karlsaue zu machen. Dort gibt es auch eine Menge toller Werke zu sehen und die Menschenmassen verteilen sich in dem riesigen Park.

7. Am besten: Hetzen Sie nicht von A nach B, nur, weil Sie vielleicht alles in Kürze noch sehen wollen. Interessieren Sie vielleicht einige Kunstwerke besonders? Ich habe mich letztes Wochenende zu Beginn meiner Tour wahnsinnig abgemüht, weil ich alles noch mal gerne sehen wollte. Da mir dies aber wenig Spaß machte, habe ich mich dann doch lieber auf ein paar Standorte beschränkt, die mir die letzten Monate am besten gefallen haben. Mir war die Muße, das jeweilige Kunstwerk erneut genauer anzusehen einfach mehr wert, als alles noch einmal zu betrachten. Aber das liegt ja an jedem Besucher selbst, wie er seinen Rundgang auf der dOCUMENTA (13) gestaltet. Die einen mögen die Hektik, die anderen brauchen Ruhe – Hauptsache Sie genießen die letzten Tage der Ausstellung.

Ich wünsche Ihnen noch zwei schöne, erlebnisreiche Kunsttage in Kassel!

(lb)

EU-Kommissionspräsident Barroso besucht die Documenta

Am letzen Documenta-Wochenende gab es noch einmal hohen Besuch bei der Kunstausstellung in Kassel: EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso stattet heute der weltweit größten Ausstellung für zeitgenössische Kunst einen Besuch ab.

Der Besuch Barrosos begann heute morgen bei einem Empfang der Stadt Kassel im Brüder-Grimm-Museum. Dort erzählte Barroso unter Anderem, dass er bereits die letzte Documenta vor fünf Jahren besucht habe. „Ich bin beeindruckt und mag dieses Konzept“. Aufgrund der Euro-Krise habe er es allerdings nicht früher geschafft, sich die Ausstellung anzusehen.

EU-Kommissionspräsident Barroso besucht die documenta

Lange Besucherschlangen zum Ende der dOCUMENTA (13)

Kassel platzt zurzeit aus allen Nähten. Der Grund: Kunstbegeisterte aus aller Welt wollen die wenigen verbleibenden Tage noch nutzen, um dOCUMENTA (13)-Luft zu schnuppern und letzte Blicke auf die Kunstwerke zu erhaschen.

Es ist bald soweit, die größte Weltausstellung für zeitgenössische Kunst schließt in drei Tagen endgültig ihre Pforten. Das Ende der dOCUMENTA (13) wird an diesen letzten Tagen deutlich sichtbar: Überall, wohin das Auge auch blickt, sieht man zahlreiche Menschen anstehen und warten. Sie hoffen, dass die Schlangen rasch kürzer werden, denn viele beliebte Standorte sind auf Besucherzahlen beschränkt. Ob vor dem Fridericianum, der documenta-Halle – wie auf diesem Foto sichtbar – oder an verschiedenen Stationen am Hauptbahnhof, es bilden sich lange Schlangen von interessierten Besuchern. Dies verlangt den Kunstbegeisterten viel Geduld und Durchhaltevermögen ab.

Die Schlange zur documenta-Halle reicht schon bis zum Staatstheater
© Livia Blum

Wer beispielsweise letzten Samstag die Arbeit „The Refusal of Time“ des Künstlers William Kentridge (* 1955) genießen wollte, der musste teilweise gut zwei Stunden ausharren, da die Einlasszahl zu diesem Werk auf ca. 50-60 Personen begrenzt war. Gelohnt hat sich das Warten allemal, wenn es auch viel Kraft und Ausdauer gekostet hat.

Festhalten lässt sich auf jeden Fall: Dass die dOCUMENTA (13) die Menschen nach wie vor begeistert, dass das Interesse an den vielseitigen Kunstwerken anscheinend nicht abnimmt und dass bestimmt dem einen oder anderen Kunstliebhaber in den nächsten Wochen in Kassel etwas fehlen wird: Nämlich die Magie und Faszination, die die Weltkunstausstellung verbreitet hat und vielleicht auch der Austausch und ein netter Plausch mit Gleichgesinnten.

(lb)

Das Ende ist in Sicht…

In wenigen Tagen geht die größte Ausstellung für zeitgenössische Kunst zu Ende. Bereits jetzt befassen sich viele Medien mit der Zeit danach oder bieten einen kleinen Rückblick auf die Highlights der 13. Documenta in Kassel. dOCUMENTIERT hat hier eine Auswahl der aktuellsten Artikel zusammengestellt.

Die Welt online: Auf Streit folgt Lob und wieder Streit – Ein Rückblick auf die positiven und negativen Stimmen zur Documenta 13 und dem Geschehen drumherum

Der Westen online: Warum sich ein Besuch der Documenta 13 auch auf den letzten Drücker noch lohnt – Thomas Richter zeigt, wie man in möglichst wenig Zeit noch möglichst viel von der Documenta erleben kann

Süddeutsche online: Ende der Documenta 13 – Und dazu Urmusik aus der Geierhöhle – Die Highlights der Documenta 13

Focus online: documenta-Hund soll wieder normales Leben führen – Was passiert mit den zwei Hunden des Kunstwerks von Pierre Huyghe?

Kritische Stimmen

Bisher gab es eher weniger negative Kritik in den Medien über die diesjährige dOCUMENTA. Ganz zum Verblüffen von Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev. Sie habe sich vorab auf hitzige Diskussionen eingestellt, die bislang noch nicht eingetroffen sind. Jetzt haben sich zwei Frankfurterinnen über ein Ausstellungswerk des guatemaltekischen Künstlers Aníbal López beschwert, wie die Frankfurter Rundschau berichtet. Das Video, das in der Neuen Galerie zu finden ist, zeigt ein Interview des Künstlers mit einem Auftragsmörder. López lud den sogenannten sicario nach Kassel ein, um mit ihm über Politik und Bewaffnung in Zentralamerika zu sprechen. Seine Absicht liegt darin, die Menschen über die politische Problematik in Guatemala aufzuklären, indem man in die Psyche des Mörders schaut und somit seine Denkweise verinnerlicht.

Der Künstler nutzt die weltweit öffentliche Plattform der dOCUMENTA, um auf den Guerillakrieg hinzuweisen. Die bewaffnete Bewegung besteht aus einem kriminellen Kartell, das Kontakte zu Politikern, Drogenhändlern und anderen Verbrechern pflegt. Diese Miliz findet immer größeren Zuwachs aus Repressionsgründen.

López bietet den dOCUMENTA Besuchern die Möglichkeit, hinter die Fassade zu schauen und das Problem aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Losgelöst von unserem politischem Verständnis von Recht und Unrecht. Sicherlich appellieren die zwei Frankfurterinnen an die Moral, die bei solch einem Konflikt zwischen Bürger und Diktatur verloren scheint. Andererseits spielen andere Faktoren in dieser Kultur eine große Rolle. Angst vor dem Gesetz und der Überlebenskampf auf den Straßen sind nicht unbekannte Phänomene, die durch Ausweglosigkeit hervorgerufen werden.

Durch López‘ provokative Kunst trifft in Kassel eine Welt auf unsere, die unser Verständnis von Moral und Recht in einen neuen Bezug bringt und somit die Relationen versetzt. Die Beschwerde der beiden Frauen ist der erste Schritt in Richtung Aufklärung der gesellschaftlichen Probleme im 21. Jahrhundert.

Weitere interessante Informationen zu diesem Thema sind in dem Artikel „Videofilm mit einem Mörder“ von Katharina Scholz zu finden!

(Quelle: Begleitbuch dOCUMENTA (13))

Christina Hooge

Ein Paradies für Schmetterlinge – Kristina Buchs „The Lover“

Sträucher, Bäume und Blumen: Buch schafft mit ihrer Installation auf dem Kasseler Friedrichsplatz vor dem Staatstheater eine Oase für Tagfalter.

Ich nähere mich an einem eher trüben und windigen Tag dem Kunstwerk der deutschen Künstlerin und studierten Biologin Kristina Buch (* 1983). Fasziniert beobachte ich die Vegetation, bestehend aus verschiedenen Gewächsen, die auf einem erhöhten Podest zu sehen ist. Ich höre, wie der Wind durch die Luft jagt und die Blätter zum Rascheln bringt, ich höre das Summen der Bienen und ich höre aber auch das Heulen lauter Motoren – denn die gebürtige Meerbuscherin platzierte ihr Werk direkt neben der gut befahrenen Kasseler Hauptstraße. Extra für die Tagfalter hat sie in ihrer Installation mehrere Schmetterlingssträucher gepflanzt, die als Nahrungsquelle und Herberge für diese dienen. An diesem Tag habe ich leider nur wenige Schmetterlinge sichten können, bei dem Wetter wundert es mich auch nicht.

Schmetterlingsstrauch
© Livia Blum

Buch ermöglicht Tagfaltern optimale Lebensbedingungen

Ihr Kunstwerk für die dOCUMENTA (13) „The Lover“ besteht aus einem Gerüst, das einen riesigen Pflanzkasten trägt. Es handelt sich hierbei um einen „hängende[n] Garten“ (Begleitbuch, S. 50). Buch pflanzte mit System: In der Mitte des Beetes setzte sie verschiedene farbenfrohe Blumenarten, die ihre volle Blütenpracht bereits entfaltet haben. Diese umrandete sie mit Disteln und Brennnesseln, welche eine besonders gute Nahrungsquelle für Schmetterlinge bieten. Aber ich sehe auch eine verdorrte Pflanze und frage mich, warum die heute in Düsseldorf lebende Künstlerin diese nicht entfernt oder sogar durch eine gesunde Pflanze ersetzt hat. Denn solch eine vertrocknete Pflanze strahlt doch kein Leben aus, sie passt nicht zu in der Luft tanzenden, bunten Schmetterlingen. Oder doch?

Vertrocknete Pflanze als Teil des Kunstwerkes?
© Livia Blum

Ein Projekt, mehrere Aussagen?

Wirft man einen Blick auf die Informationstafel, so liest man, dass sich die Künstlerin in ihrem Werk u.a. mit vielfältigen Themen wie der Vergänglichkeit, der Ungewissheit, der Hoffnung und der Freiheit auseinandersetzt. Die vielen Schmetterlinge, die während der größten Weltkunstausstellung aus ihren Puppen geschlüpft sind, symbolisieren Freiheit, wie dem Begleitbuch zu entnehmen ist. Sie tanzen in der Luft, flattern von Blüte zu Blüte, verlassen vielleicht das Kunstwerk – sie sind ungebunden. Indem die Künstlerin selbst während der dOCUMENTA (13) neue Puppen zieht und diese in ihrem Werk aussetzt, schafft sie dadurch neues Leben, das für mich für Hoffnung und Zukunft steht.

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Biowiese als Lebensraum für Falter

Eine Aussage aus einem Interview-Ausschnitt von Buch lässt mich grübeln. Sie sagt, dass Schmetterlinge vielleicht gar nicht so frei seien, da sie doch den Nektar der Pflanzen als Nahrung bräuchten, um überhaupt leben zu können. Mir stellen sich die Fragen: Was wird mit Schmetterlingen und anderen Lebewesen passieren, wenn wir Menschen immer mehr Wälder abholzen und beispielsweise unsere Rasenflächen weiterhin akkurat mähen? Nehmen wir den Tieren damit nicht die Grundlage zum Leben? Buchs Projekt regt mich zum Denken an und bringt mich zu dem Entschluss, den Schmetterlingen in meinem Garten ein Stück Natur zurückzugeben – und zwar in Form einer kleinen Fläche, die nicht gemäht wird und auf der Wildblumen gesät werden.

Der Lebenskreislauf?

Die vertrocknete, leblos aussehende Pflanze könnte meiner Meinung nach für Vergänglichkeit stehen. Für eine gewisse Zeit entfaltet sie ihre komplette Schönheit, aber irgendwann ist ihre Lebensdauer vorbei und sie vertrocknet. Möchte Kristina Buch in ihrem Werk vielleicht den Kreislauf des Lebens anhand der Pflanzen und Schmetterlinge darstellen? – Die Entstehung neuen Lebens, das Leben selbst, das so selbstbestimmt und frei wie möglich sein sollte, das Alter und schließlich den Tod?

Blumenpracht
© Livia Blum

dOCUMENTA (13)-Tagfalter in 2013?

Ob die Tagfalter auf ihrer Reise durch Kassel ihre Eier an einem geeigneten Platz ablegen und ob daraus im nächsten Jahr neue Schmetterlinge schlüpfen werden, ist ungewiss. Aber ich finde, es ist ein schöner Gedanke, dass wir vielleicht im nächsten Jahr, einem dOCUMENTA (13)- Schmetterlingsabkommen begegnen könnten.

(lb)

Fiktion oder Wirklichkeit?

Unsere Sinne arbeiten, wenn alle funktionstüchtig sind, brillant zusammen. Wie man einzelne Sinneseindrücke jedoch beeinflussen kann, wird eindrucksvoll in der Karlsaue vorgeführt.

„For a thousand years (2012)“ ist eine Klanginstallation von Janet Cardiff und George Bures Miller in einem kleinen Waldstück in der Nähe vom Aueteich, inmitten der Karlsaue. Mithilfe von 30 Lautsprechern wird die Umgebung des Waldes beschallt. Es wurden extra einzelne Baumstümpfe aufgestellt, als Möglichkeit sich hinzusetzen, um entspannt den Klängen lauschen zu können. Lässt man sich dann voll und ganz auf die Eindrücke ein und schließt womöglich die Augen, ist es zeitweilig schwer, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden.

Es wirkt als sei man mitten im Geschehen

Alles beginnt mit einer leichten Brise, die durch die Blätter der Baumkronen zu wehen scheint. Rasch entwickelt sich der Lufthauch jedoch dramatisch zu einem Sturm. Die Sinne spielen verrückt, denn die Geräusche, die man hört, passen nicht zur optischen Umgebung (insofern es nicht in Wirklichkeit gerade stürmisch ist).
Die Klänge umgeben mich und es entsteht eine Atmosphäre, die einen in die hörbare Situation hineinzieht, so als wäre man mitten in der Szenerie. Ich beginne jeden Klang zu lokalisieren, um mir ein Bild dazu machen zu können.
Die Gefühlslage scheint sich, mit jedem neuen Element der Klanginstallation, anzupassen. Man bekommt ein regelrecht beklemmendes Gefühl als auf einmal lautes Geschrei, Schüsse, Flugzeugmotoren und fallende, explodierende Bomben und das Rattern eines Maschinengewehrs erklingen. Ich weiß, dass es nicht da ist und doch scheint es real.
Ein fallender Baum, Geräusche einer Mutter und die ihres Kindes, ein kurzer, entfernter Schrei beschließt den Höhepunkt der Installation. Ein Sängerchor kommt näher und verschwindet schnell darauf wieder und urplötzlich ist es still, die Idylle ist wieder hergestellt und wird lediglich durch die wieder einkehrende, leichte Brise und den Tiergeräuschen des Waldes erhellt.

Meister der Klangkunst

Janet Cardiff und George Bures Miller haben meiner Meinung nach eine der interessantesten und eindrucksvollsten Ausstellungsstücke der dOCUMENTA 13 zur Verfügung gestellt und zeigt recht deutlich die Schwierigkeit fiktionale von realen Eindrücken zu unterscheiden, wenn man einzelne Sinne, wie zum Beispiel das Hören, stärker beansprucht.
Ein weiteres sehr gelungenes Kunstwerk von Janet Cardiff und George Bures Miller ist der Video-Walk im Kulturbahnhof. Dieses Projekt ist ein weiteres Indiz dafür, dass diese beiden Künstler ein außergewöhnliches Talent besitzen, Illusion und Wirklichkeit zu vermischen. Sehen Sie es sich an, oder besser: Hören Sie gut zu! Es lohnt sich.

Youtube – Video: © Janet Cardiff und George Bures Miller

Ausschnitt in der Soundcloud: © Jens Nerkamp

Ist dies der Anfang vom Ende?

Moon Kyungwon & JEON Joonho

EL FIN DEL MUNDO – ein Film aus dem Projekt NEWS FROM NOWHERE (2012)

 

Zwei Stellwände mit zwei unterschiedlichen Filmprojektionen zeigen bei MOON Kyungwon & JEON Joonho im Keller der documenta-Halle eine „Retrospektive aus der Zukunft“. Auf der rechten Filmleinwand ist eine Frau in einer Science-Fiction-Szenerie zu sehen. Links ein Mann in einem fensterlosen Raum mit einem Hund.

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Die asiatische Frau scheint durch ihre besondere Umgebung zu einer speziellen Spezies von Menschen zu gehören. Die Welt in der sie lebt heißt TEMPUS – ein Ort, an dem Daten über die Menschheit gespeichert sind. Das daraus resultierende Wissen über die Menschen schreibt der „neuen“ Welt Regelungen vor, die die Frau einzuhalten hat. Der Betrachter erfährt durch englische und deutsche Untertitel, die aus der japanischen Gedankensprache der Frau übersetzt sind, dass sie den Platz, der wie das Innere eines Raumschiffs wirkt, nicht ohne ihren Schutzanzug zu verlassen hat. Weiterhin solle sie möglichst wenig Energie aufwenden, um überleben zu können. Eine Pille mit den nötigen Nährstoffen und ein Schutzcollier gewähren ihre sichere Existenz. Den Anweisungen folgend, geht sie unterschiedlichen Tätigkeiten nach. Sie verlässt ihren geschützten Raum und betritt ein Zimmer, das zuvor von Menschen aus der heutigen Zeit genutzt wurde. Sie scheint sehr erstaunt darüber zu sein und gleichzeitig vorsichtig.

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In der nächsten Szene untersucht sie bereits ausgetrocknete Pflanzen, bis ihr eine Lichterkette, die für einen Weihnachtsbaum bestimmt ist, auffällt. Schockiert und völlig unwissend über ihre Funktion, setzt sie sich diese auf ihr Haupt und fixiert den Betrachter.

Obwohl beide Filme verschiedene Situationen aufweisen und auf den ersten Blick keine visuelle Verbindung haben, kommunizieren sie miteinander. Während die Frau das Nutzen einer Lichterkette erforscht, integriert sie der Mann auf der linken Seite in ein Bauprojekt aus unterschiedlichen Materalien, zum Beispiel einer Perücke. Er bewegt sich in einem dunklen Raum, beleuchtet durch ein flackerndes Kaminfeuer. Die Wände sind mit Bildern und Zeitungsartikeln tapeziert. Er hat Bücher zur Verfügung, doch sein Gemüt verrät, dass ihm langweilig ist. Er beschäftigt sich mit Basteln. Die melancholische Atmosphäre wird durch ein lautstarkes Aufrütteln gestört, mit einem Erdbeben vergleichbar.

In beiden Filmen hörbar, symbolisiert die Erschütterung das Ende der Welt. Die zwei Protagonisten leben also in einer postapokalyptischen Zeit: Der Mann, der anscheinend zu den letzten Überlebenden zählt, vegetiert in einem Zimmer, zusammen mit seinem treuen Hund, in einer Welt, in der alles zerstört ist.Die Frau hingegen existiert in gesonderten Raumverhältnissen, die in der Zukunft liegen, und betreibt wissenschaftliche Forschung zur Erklärung der Menschheit, die vor ihrem Handlungszeitpunkt liegt.

 Das japanische Künstlerduo beabsichtigt laut documenta-Begleitbuch weder das Ausmalen einer zukünftigen Gesellschaft, noch die Darstellung einer utopischen oder dystopischen Gesellschaftsvision. Ziel sei es, die Wirklichkeiten und Werte unseres heutigen Lebens zu rezipieren.

Dabei stellt sich für uns als Betrachter die Frage: Was ist die Apokalypse für uns? Oder noch präziser: Welche Werte und Errungenschaften sind uns so wichtig, dass der Mensch daran zerbricht, wenn sie nicht mehr existieren? Und: Wie kommt das Ende der Welt zustande?

Auch wenn die Filme keine illusionistischen Vorgaben beabsichtigen, zeigen sie trotzdem durch die Handlungen der Frau und des Mannes zwei verschiedene Umgangsarten mit der Thematik. Die Frau nutzt ihre technologischen Möglichkeiten zur Erforschung und Erklärung der Vergangenheit, um das Wissen durch Rationalität effizient in ihrer „neuen“ Welt umsetzen zu können. Ihre rationale Denkweise hängt mit der Bedingung ihrer Existenz zusammen, nämlich keine unnötige Energie zu verschwenden, und zwar auch insofern, dass sie keine Emotionen zulassen darf, denn Tränen kosten emotionale Energie. Ganz im Gegenteil zum Mann: Er besitzt einen Hund, für den er gefühlvolle Fürsorge aufbringen muss. Er hat im Gegensatz zu ihr keine Möglichkeit nach draußen zu gehen und sich weiterzuentwickeln. Alles was ihm bleibt, ist der Bestand an Wissen durch seine Bücher. Er kann die Vergangenheit dadurch erlernen, aber irgendwann kommt er an einen Punkt, an dem er ausgelernt hat.

Da dieser Zustand der Endgültigkeit in der Welt und im menschlichen Denken keinen Platz findet, müssen herrschende Theorien in der Forschung immer wieder aufs Neue kritisiert und untersucht werden, um intelligente und effiziente Lösungen für Probleme zu finden (beispielsweise in der Umwelt).

Ist die Apokalypse für uns also eine neue Denkweise, die uns aus unseren Ideologien entreißt und uns dazu zwingt, eine neue und bewusste Lebensweise zu erschaffen? Ist unsere bisherige Lebensart falsch und muss sie von Grund auf in ihren Werten noch einmal überdacht werden? Um diesen Gedanken aufzunehmen, müssen wir uns auch fragen, was wir als „normal“ wahrnehmen. Dabei geraten autodestruktive Aktionen von Menschen in den Blickpunkt, beispielsweise der Bau von Atombomben. Was auf der einen Seite gut für die nationale Macht ist, ist auf der anderen Seite eine erschreckende Vernichtung seiner selbst. Dieser Stichpunkt ist nicht weit hergeholt, wenn man bedenkt, dass die Projektkünstler aus Japan stammen und einen eigenen Realitätsbezug dazu aufbringen.

Schließlich verlässt der Betrachter das filmische Kunstwerk mit einem Unbewusstsein: Die fiktive Geschichte lässt ihn über seine Taten von heute nachdenken unter Belichtung der Folgen derer von Morgen. Der Mensch weiß was er tut, aber er weiß nicht, wohin es ihn führt. Er wird sozusagen in ein Trauma geschleust, das in der Zukunft auf ihn wartet. Seine Aufgabe ist es, dieses zu verhindern – mit allen ihm zustehenden Mitteln. Denn er könnte die Möglichkeit haben.

Christina Hooge

Es plätschert und raschelt – „Untitled (Wave)“ von Massimo Bartolini

Bartolini (* 1962) bringt mit seinem minimalistischen Werk Technik und Natur in Einklang. Es bleibt die Frage: Was bedeutet es?

Ein im Boden versenktes, rechteckiges Plastikbecken gefüllt mit trübem Wasser, ein elektrischer Motor, der das Wasser in Bewegung bringt und Gerste, die das Becken umhüllt. Es fällt auf: Der Italiener, der in Cecina geboren ist und noch heute dort lebt, verbindet in der Kasseler Karlsaue künstliche mit natürlichen Materialien. Der Besucher betrachtet eine Welle, die sich gleichmäßig bewegt und vom einen zum anderen Ende wandert, aber nie über den Beckenrand schwappt. Die Installation wirkt besonders beeindruckend, wenn der Wind den Wellengang unterstützt und die Gerste am Rand raschelt und sich hin und her bewegt.

© Livia Blum

Es ist entspannend, dem regelmäßigen Lauf des Wassers zuzusehen. Aber es stellt sich auch die Frage: Was ist der Sinn dieser außergewöhnlichen Arbeit? Liest man über die „Untitled (Wave)“ nach, so haben wir das Werk richtig beobachtet und die Deutung liegt sehr nah. Der Künstler möchte mit seiner Installation den „endlosen Kreislauf des Lebens“ (Begleitbuch, S. 240) darstellen. Deshalb läuft die Welle also niemals aus und schwappt auch nicht über den Beckenrand. Sie bewegt sich immer gleichmäßig, weil sie endlos ist. Massimo Bartolini gibt den Besuchern somit Denkanstöße, sich mit den philosophischen Themenfeldern der Ewigkeit und Dauerhaftigkeit auseinanderzusetzen.

(lb)