„Musik allein ist die Weltsprache und braucht nicht übersetzt zu werden.“

Errki Kurenniemi

Das Zitat des deutschen Schriftstellers Berhold Auerbach beschreibt am besten das Phänomen, das entsteht, wenn vier fremde Menschen um das „Gruppensexophon“ stehen. Sie finden eine Ebene, auf der sie eine Einheit bilden und sich wortlos verstehen können. Die Rede ist von dem experimentellen Musikapparat DIMI-S des künstlerischen Wissenschaftlers Erkki Kurenniemi. Er funktioniert so, dass er vier Personen mittels Berührung der Elektroden miteinander verbindet und durch daraus entstehende elektrische Impulse einen Synthesizer in Bewegung setzt. Das menschliche Nervensystem bringt aufgrund seiner Funktion somit Töne und Melodien zum erklingen.

Die dOCUMENTA-Besucher sind fasziniert von diesem musischen Gerät. Zunächst sind sie überrascht und dann voller Enthusiasmus. Euphorisch berühren sie die Elektroden und experimentieren mit elektronischer Musik. Die auch genannte Liebesmaschine bringt auf diese Weise Menschen zum Lachen, zur Freude und zum Interagieren. Ein geniales Kommunikationsmittel, das die universale Sprache von Musik und Mensch hervorbringt.

 (Quelle: Begleitbuch dOCUMENTA)

 Christina Hooge

Anri Sala, die Uhr in der Aue und das Gemälde

Auch an diesem Wochenende war dOCUMENTIERT wieder einmal unterwegs. Trotz des eher mäßigen Wetters, hat es mich in die Aue verschlagen, um dort das Kunstwerk von Anri Sala zu suchen. Die Uhr am Ende des Hirschgrabens. Nachdem ich erst einmal den falschen Graben abgesucht habe (vorher eine Karte anzugucken hätte das verhindern können) und an einigen Kunstwerken anderer Künstler vorbei geschritten war, fand ich sie doch noch. Eine Uhr in der Aue. Aha, schön. Und was soll diese Uhr dort? Auf dem Weg dorthin musste ich an Salvador Dali denken oder an ein Zitat aus einem Gaspar Noé Film „die Zeit zerstört alles“. Nein aber mit alledem hat diese Uhr hier nichts zu tun.

Nun stand ich vor dieser Uhr und stellte fest: Egal wie man sich dreht und wendet, man hat immer den Eindruck, sie nie aus dem richtigen Blickwinkel zu betrachten. So erging es nicht nur mir, sondern anderen Besuchern der Uhr auch, wie ich bei meinem Besuch feststellen durfte. Die Perspektive ist das Geheimnis. Sie ist verkürzt, und die Uhr ist nicht rund sondern elliptisch. Aber warum baut man nun so eine Uhr und deklariert sie als Kunst? Für die Antwort auf diese Frage müssen wir den Schauplatz verlagern, den ganzen Graben entlang wieder zurück laufen, über die Wiese, in die Orangerie, vorbei am Kassen- personal, die Treppe hoch in den erste Stock und auf die „Brücke“. Dort nämlich sind Fernrohre aus vergangenen Zeiten installiert, extra für die dOCUMENTA (13) noch zwei weitere. Schaut man nun durch genau diese zwei hindurch sieht man, die Uhr von Anri Sala. Des Rätsels Lösung ist das aber immer noch nicht. Der Schlüssel ist in der Uhrenabteilung des astronomisch- physikalischen Kabinetts der Orangerie. Betritt man den Raum von der Brücke aus, steht auf der rechten Seite eine graue Wand, an dieser hängt ein Gemälde von einem Herren namens Ulbricht, welches 1825 entstand. Darauf ist ein Schloss zu sehen und etwas Landschaft. Das Besondere ist nun aber, dass in das Gemälde eine Uhr eingearbeitet ist, mit einem richtigem Uhrwerk. Sie erscheint jedoch nicht perfekt in das Bild eingearbeitet. Die Perspektive stimmt nicht. Und warum? Weil diese Uhr, wenn sie perspektivisch richtig in das Bild eingearbeitet worden wäre, nicht mehr exakt laufen würde. Von diesem Bild nun ließ sich Sala inspirieren und hat eine Uhr konstruieren lassen, die perspektivisch genau in das Bild passen würde und, jetzt kommts, auch noch exakt läuft. Ein Meisterwerk der Technik. Sala interessiert sich nämlich für das Verhältnis zwischen „Zeit“ und „Tempo“ und hat für die dOCUMENTA (13) eine Korrektur des Gemäldes von G. Ulbricht erschaffen. Das Alles und noch einige Hintergrund Informationen über Anri Sala mehr, sind in dem Begleitbuch zur dOCUMENTA (13) verewigt und auch noch einmal für die Nachwelt zum nachzulesen festgehalten.

Die Uhr ist also eigentlich ein Teil des Gemäldes von G. Ulbricht und das ist des Rätsels Lösung.

Foto: Jennifer Schreiber

Bild

Hinrichtungsstätten auf der dOCUMENTA (13) – Sam Durant’s „Scaffold“

Haben Sie schon dieses riesige Holzgerüst mit den vielen Treppen in der Aue gesehen? Ein bisschen klobig und wuchtig sieht Scaffold von Sam Durant schon aus, doch dann ist es auch wieder sehr außergewöhnlich und wirkt irgendwie einladend. Aber was soll dieses merkwürdige Kunstwerk aus Holz und Metall darstellen? Man könnte es fast für ein Klettergerüst oder einen Aussichtsturm halten, aber seine eigentliche Bedeutung ist um einiges tiefsinniger und erschreckender, als man sich auf den ersten Blick vorstellen kann…

 Zunächst sieht das Kunstwerk Scaffold, zu Deutsch Gerüst, wie der Name schon sagt, wie ein riesiges Holzgerüst aus. Dieses auffällige Werk, ist schon von weitem zu sehen, da es am Ende des zentralen Weges des barocken Schlossparks und direkt vor dem Aueteich steht. Schon wenn der/die BesucherIn vor der Orangerie steht, kann er/sie ganz weit hinten dieses skurrile Kunstwerk stehen sehen. Wenn man dann näher kommt sieht es aus als wenn das riesige Gerüst zu schweben scheint und es sind viele Treppen zu erkennen, die von allen Seiten des Werkes nach oben führen. Eine davon (die einzige aus Metall) kann der/die BesucherIn benutzen, um Scaffold zu besteigen. Auf der Plattform angekommen, ist der schöne Ausblick über die Aue schnell vergessen und man ist gefesselt, erstaunt und vielleicht etwas verwundert über das, was dort oben auf dem Kunstwerk zu sehen ist. Auf den ersten Blick ist überall einfach nur Holz zu sehen der/die BesucherIn fühlt sich fast wie auf einem Klettergerüst, denn man muss gucken wo man hintritt, um nicht zu stolpern, da der Boden  nicht eben ist, sondern es höhere und dann wieder etwas niedrigere Stellen gibt. Zwischendurch sind dann eigenartige viereckige Vertiefungen in den Boden eingefasst. Nach oben ragen mehrere verschieden lange Balken, die in den Himmel zeigen und unter der Plattform auch nach unten herausragen. Um die Plattform herum ist ein niedriger metallener Zaun gezogen, der trotz seiner Niedrigkeit bedrohlich wirkt, da er aussieht wie ein Gefängniszaun oder Ähnliches. Hier oben weiß man zunächst gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll und was das alles zu bedeuten hat. Wenn der/die BesucherIn sich über dieses abstrakte Kunstwerk vor dem Besuch nicht informiert hat, ist es schwierig zu verstehen, was das, was es dort zu sehen gibt, zu bedeuten hat.

Scaffold gehört zu einer Reihe von Werken des in Los Angeles lebenden Künstlers Sam Durant, in der er sich mit der Todesstrafe in den Vereinigten Staaten beschäftigt. Bei diesem Werk handelt es sich um eine Kombination von maßstabsgetreu rekonstruierten Galgen, die früher auch ‚scaffold’ genannt wurden. Diese wurden alle für Hinrichtungen verwendet, die von Bedeutung waren für die US-amerikanische Geschichte. Die Modelle dieser Galgen sind chronologisch um-, in- und übereinander gebaut. In Scaffold befindet sich unter Anderem das Modell des Galgens von John Brown von 1859 und das des Galgens auf dem Saddam Hussein 2006 starb. Sam Durant möchte mit seinem imposanten Kunstwerk auf die Todesstrafe in der Geschichte und Gegenwart der USA, aufmerksam machen.

Scaffold scheint wie ein Ort der Schreckens, des Todes und der Geschichte, der, von Sam Durant, mitten in die malerische Idylle der Karlsaue gesetzt wurde und hierzu einen extremen Kontrast bildet.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

(cw)

Vom Unsichtbaren zum Sichtbaren

Nicht nur visuell, sondern auch kulinarisch hat die Documenta Einiges zu bieten. Und das nicht nur an den Bars und Ständen rund um den Friedrichsplatz. Ein Projekt von  Robin Kahn und Peter Lamborn Wilson für die Documenta verbindet Kunst mit Cuisine.

Mein erster Spaziergang durch die Karlsaue führte mich unter Anderem an einem orientalischen Zelt und einem Campingwagen vorbei, von dem mir ein appetitlicher Duft entgegen wehte.

©50bananas

Es handelte sich hierbei um The Art of Sahrawi Cooking von Robin Kahn & La Cooperativa Unidad Nacional Mujeres Saharauis (The National Union of Women from Western Sahara). Hintergrund dieses Aufbaus ist das Aufmerksammachen auf das Schicksal der Bewohner der Westsahara, insbesondere der Frauen, die durch die Annektierung ihres eigenen Landes durch Marokko staatenlos geworden sind. Seitdem verschwindet das gesamte Volk der Westsahara nach und nach aus dem Bewusstsein der Menschen.

Besucher kosten den lecker duftenden Couscous

©50bananas

©50bananas

Die Idee für das Projekt  in der Karslaue entstand durch einen Traum des Dichters und Historikers Peter Lamborn Wilson, der neben dem Künstler Robin Kahn für das Wüstenzelt verantwortlich ist. Wilson sah in diesem Traum Frauen aus der Westsahara, die für die Besucher der Documenta Couscous zubereiten. Aus dem Traum wurde Wirklichkeit. Aus den Unsichtbaren wurden Sichtbare.

©50bananas

Von 12 bis 19 Uhr wird in regelmäßigen Abständen Couscous angeboten. Außerdem ist man auch gern gesehener Gast in dem mit Teppichen ausgelegten Zelt, wo man mit den überaus freundlichern Bewohnern Tee trinken kann.

Erschöpft vom dOCUMENTA (13)-Rundgang?

Einfach entspannen!
© Livia Blum

In der Kasseler Karlsaue gibt es zahlreiche, außergewöhnliche Kunstwerke zu bestaunen und diese sind meistens im Park sehr verteilt. Um zu einem Werk zu gelangen, das Sie unbedingt sehen möchten, müssen sie wahrscheinlich lange, anstrengende Fußmärsche in Kauf nehmen. Deshalb ist es empfehlenswert, auf das richtige Schuhwerk zu achten. Aber fast genauso wichtig ist es, dass Sie sich bei Ihrem dOCUMENTA-Marathon mal kurz entspannen, oder nicht? Dies können Sie bei gutem Wetter in diesen dOCUMENTA-Strandstühlen, die in der Nähe des Schafotts von dem amerikanischen Künstlers Sam Durant (nähe Aueteich) aufzufinden sind, mit einem gekühlten Getränk oder einem leckeren Snack!

Ihr dOCUMENTIERT.-Team wünscht Ihnen jedenfalls viel Spaß beim Genießen der Kunst und weiterhin eine schöne, spannende dOCUMENTA (13)-Zeit mit Entspannungspausen am richtigen Ort zu passender Zeit!

(lb)

Die ersten Stimmen der Presse

Was wurde nicht alles schon emsig im Vorfeld berichtet, über das Unfertige, Konzeptlose, die vielen Maybes, über eine Pressemappe des Grauens (die weitreichendere Aufschlüsse über die Kuratorin, als über die Ausstellung zuließ), über eben jene Kuratorin, über mögliche Künstler, über emanzipierte Erdbeeren und Hunde, die sogar einen Kalender gewidmet bekamen. Schönes Ding.

Doch jetzt ist sie da, die dOCUMENTA (13) , seit Mittwoch der Presse zugänglich, seit Samstag vom Gauck’schen Lächeln auch offiziell eröffnet. Die ersten Eindrücke sind verdaut, Print -und Onlinemedien hauen in die Tasten und dOCUMENTIERT fast das Presse-Echo kurz zusammen.

Die Zeit beschreibt sie als ein „Wagnis, das gelingen kann“ und meint damit auch das spürbare Ziel „unser Denken zu verändern“ und uns zu einem „Akt der Einfühlung“ zu bewegen, wie dies z. B. die Fotografien von Lee Miller tun wollen: sie selbst in Hitlers Badewanne. Das „Verhältnis zwischen Mensch und Ding“ treibt die dOCUMENTA um, die alten Denkmuster, die Natur, die Grenzen und ihre Aufhebung. Und genau deshalb wird resümiert: „ein Unbehagen bleibt“.

Die FAZ unternimmt den Versuch zu erklären „warum die dreizehnte Documenta trotz vieler Einwände sehenswert ist“ und findet im Leitmotiv Collapse and Recovery eine breite Themenvielfalt sowie einen an vielen Stellen veränderten Künstlerbegriff vor. Der Künstler, der „erkunden“ und „untersuchen“ soll, zum „Ermittler“ wird. „Sie zu sehen lohnt sich wegen der Entschlossenheit, mit der hier der Kanon der klassischen Moderne umgeschrieben“ wird, befindet Niklas Maak.

Ganz so crazy geht’s nicht zu“, wie im Vorfeld vermutet, meint SPIEGEL online. Die zwei leeren Säale gleich am Eingang des Fridericianums bewirken, dass der Sinn des Sehens, „erstmal auf Entzug gesetzt“ wird, ungewöhnlich. Anschließend „geht es in der Rotunde“, dem brain, „ersteinmal ans Denken.“ Die Botschaft: „Change!“ Veränderung also, nur eben doch gesitteter als erwartet.

Es ist eine Documenta, deren stärkste Handschrift die der Kuratorin ist“, konstatiert die SZ. Auch auffällig, es grünt an allen Ecken und Enden, „weil viele Dutzend Künstler in die Karlsauen gezogen sind“. Afghanistan spielt eine große Rolle, sowohl thematisch, als auch „weil in Afghanistan in zwei Wochen eine zweite Documenta eröffnet wird“ (eine Art Außenstelle). Nach der von der Presse wenig positiv bewerteten vergangenen Documenta, scheint hier vieles richtig gemacht worden zu sein. „Es ist eine Expedition namens Kunst.“ Na dann.

Der Stern findet die dOCUMENTA „so unterhaltsam, so politisch und so aufregend wie noch nie“ und mag damit recht haben, „ihre Denkanstöße funktionieren“. Und können gleichzeitig herrlich unanstrengend sein, wie in der Aue: „Hier die Kunst zu suchen, ist ein Familienspaß“ Letztlich bleibt festzuhalten: „So schön war Kassel noch nie.“ Richtig!